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Kein Verbraucher-Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen mit atypischen Parteirollen (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22.09.2020)

Sehr geehrte Damen und Herren,

seit der Novellierung des Verbraucher-Widerrufsrechts im Jahr 2014 (Umsetzung der „Verbraucherrechte-Richtlinie“ 2011/83/EU vom 25.10.2011) ist unter Juristen umstritten, ob im Rahmen der Flächensicherung für Wind- und Solarprojekte beim Abschluss von Nutzungsverträgen die Verbraucherschutzvorschriften gemäß §§ 312 ff. BGB, insbesondere das Erfordernis einer Widerrufsbelehrung und sog. Informationsblätter, zu berücksichtigen sind oder nicht.

Die Verbraucherrechte-Richtline, die den Rechtsrahmen festlegt, erklärt die Widerrufsbestimmungen für „jegliche Verträge, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossen werden“ für anwendbar (Art. 3 Abs. 1). Nach der deutschen Umsetzung der Richtlinie in § 312 Abs. 1 BGB sind die Verbraucherschutzvorschriften jedoch nur auf solche Verbraucherverträge anzuwenden, „die eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben“. Die Verbraucherrechte-Richtline eröffnet daher nach dem Wortlaut einen umfassenderen Anwendungsbereich als § 312 BGB.

Der 11. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 22.09.2020 (Az. XI ZR 219/19) entschieden, dass bei Verbraucherverträgen, die nicht dem typischen Leitbild verbraucherrechtlicher Konstellationen entsprechen, die Verbraucherschutzvorschriften zum Widerrufsrecht gemäß §§ 312 ff. BGB nicht anwendbar sind.

Die Entscheidung ist zu einem Fall aus dem Bürgschaftsrecht ergangen. Ein Verbraucher, der eine selbstschuldnerische Bürgschaft gegenüber einer Bank übernommen hatte und von dieser nicht über ein Widerrufsrecht belehrt worden war, wollte den Bürgschaftsvertrag aufgrund der fehlenden Belehrung widerrufen. Der BGH hat in seiner Begründung, weshalb ein Widerrufsrecht hier nicht besteht, ausgeführt, dass das Widerrufsrecht zunächst einen Verbrauchervertrag voraussetze. Hierfür sei nach § 312 Abs. 1 BGB erforderlich, dass der Unternehmer aufgrund des Verbrauchervertrages die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen habe. Eine entgeltliche Leistung des Verbrauchers unterfiele der Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut nicht. Eine richtlinienkonforme Auslegung oder Rechtsfortbildung sei nach Auffassung des BGH darüber hinaus nicht vorzunehmen. Unter diesen Gesichtspunkten hat der BGH das Bestehen eines Widerrufsrechts in diesem Fall abgelehnt.

Es ist zwar sicherlich zu berücksichtigen, dass die Entscheidung des BGH explizit zu einer von einem Verbraucher übernommenen Bürgschaft ergangen ist. Der Bereich des Mietrechts und somit auch der Nutzungsverträge für Wind- und Solarprojekte ist nicht Entscheidungsgegenstand gewesen und so bleibt die Rechtslage im Hinblick auf diese Verträge weiterhin nicht abschließend geklärt. Unseres Erachtens sind die Erwägungen des Bundesgerichtshofs jedoch ausdrücklich allgemein gehalten und daher jedenfalls in den wesentlichen Grundzügen durchaus verallgemeinerungsfähig.

Das Urteil unterstützt die bisher zum Teil in der Literatur und Praxis sowie auch von uns bereits vertretene Rechtsauffassung: Aufgrund des „Rollentausches“, also der Erbringung der vertragstypischen Leistung durch den Verbraucher, sind die Verbraucherschutzvorschriften, insbesondere das Widerrufsrecht für Nutzungsverträge nicht anwendbar. Hierfür spricht nach unserer Ansicht, dass die in dem Urteil zur Bürgschaft festgestellte atypische Verteilung der vertragstypischen Leistung mit der Situation in den Nutzungsverträgen vergleichbar ist. Denn auch im Rahmen der Flächensicherung für Wind- und Solarprojekte erbringt in der Regel nicht der Nutzer als Unternehmer die für den Nutzungsvertrag charakteristische entgeltliche Leistung, sondern es sind die Grundstückseigentümer als Verbraucher, die dem Nutzer ihre Grundstücksflächen gegen Zahlung eines Entgelts zur Verfügung stellen.

Solange die Rechtsprechung nicht auch zu Nutzungsverträgen endgültig Klarheit schafft, dürfte es angesichts dieser Entscheidung zumindest schwieriger geworden sein, die Anwendung der Verbraucherschutzvorschriften auch auf Nutzungsverträge vertretbar zu begründen.

Sollten Sie Fragen zu Entscheidung des Bundesgerichtshofs oder den daraus unseres Erachtens abzuleitenden Folgen haben, sprechen Sie uns gerne an!

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Sonja Venger           Felix Daum

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